MEDIENPARTNER Ungegenständlichkeit ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls eng mit der Musik verbunden. In einer Art Vorbildfunktion dient diese der Malerei als Beweis, dass ganz ohne Gegenstandsbezug Emotionen vermittelt werden können. Das ist eine kleine Revolution! Gleichzeitig zeigen sich viele Künstlerinnen und Künstler fasziniert von den Ideen der Synästhesie, der Verknüpfung von verschiedenen Wahrnehmungen: Farben können nicht nur visuell wahrgenommen werden, sondern auch auditiv. Das Hören von Musik wiederum kann ebenso Farbklänge erzeugen. Parallel dazu setzt ein neuer Umgang mit Klang beziehungsweise Ton ein, der insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg erneut aufgegriffen wird. Es werden Laute, manipulierte Instrumente oder Alltagsgegenstände zur Klangerzeugung eingesetzt und so entstehen avantgardistische Kompositionen. DiQ: Von Dada bis Pop Art: Wie unterschiedlich haben Künstlerinnen und Künstler in den verschiedenen Epochen des 20. Jahrhunderts Musik in ihren Werken sichtbar gemacht? JN: Es gibt nur wenige Beispiele einer unmittelbaren Umsetzung von Musik in ein Kunstwerk, vielmehr ist ein wechselseitiger Austausch zu beobachten. Zum Beispiel hält die Künstlerin Mary Bauermeister in Bezug auf ihre Zusammenarbeit mit dem Komponisten Karlheinz Stockhausen retrospektiv fest: „Für meine Malerei bedeutete Stockhausen Struktur und Form [...]. Man sieht den Einfluß, den das Konzept eines Komponisten auf das Konzept der Malerei haben kann. Umgekehrt sah er bei meiner Arbeit die Möglichkeit der Auflösung starrer Strukturen [...].“ Die Ausstellung ist in Kapitel gegliedert, die mit Begriffen wie Komposition, Farbklänge, Variationen oder Rhythmus betitelt sind und in denen Arbeiten aus unterschiedlichen Epochen beziehungsweise Jahrzehnten einander gegenübergestellt werden. Diese Gegenüberstellungen sollen neue Sichtweisen auf die Sammlung bieten und führen zu einem fruchtbaren Austausch zwischen den Werken. DiQ: Gibt es in der Ausstellung ein Werk, in dem der Klang besonders eindrucksvoll in Farbe oder Form übersetzt wird? JN: Die Verbildlichung von Klang fasst für mich ein kleinformatiges Werk in der Ausstellung beispielhaft zusammen: „Farbige Formen II“ von August Macke. Es gehört zu den wenigen Werken Mackes, die vollkommen gegenstandslos sind und ist im Kontext eines engen Austauschs zwischen ihm und dem französischen Künstler Robert Delaunay im Jahr 1913 entstanden. In Anlehnung an Delaunay untersucht Macke den Zusammenklang von Farbe und Form. Verschiedene Farbfolgen führen innerhalb der Komposition immer wieder zu Verdichtungen und Akzentuierungen, die in der Rezeption – ähnlich des Lesens einer Notation – eine zeitliche Abfolge in unterschiedlicher Geschwindigkeit suggerieren. Macke erkennt in der Leuchtkraft der Farbe die visuelle Entsprechung eines Tons; deren gleichzeitige Wirkung referiert auf das Zusammenklingen eines Akkords. Farbe und Form werden zu Klang und Bewegung. DiQ: Was können wir heute, in einer visuell und akustisch überreizten Welt, noch von dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit Musik lernen und vielleicht sogar mitnehmen für unser eigenes Hören und Sehen? JN: In der Ausstellung spielt Stille eine wichtige Rolle. Bereits im ersten Raum, der mit „Neue Klänge“ betitelt ist und vor allem Konzeptarbeiten zeigt, begegnen die Besuchenden der Stille. Zum Beispiel wird in den musikalischen Kompositionen von John Cage Stille – oder vielleicht besser die Fiktion von Stille – ein wichtiger Parameter. Auf dieses Konzept bezieht sich wiederum Timm Ulrichs in seiner Arbeit „Konzert der fallenden Stecknadeln“. In einer schwarzen Holzschachtel präsentiert uns der Künstler unzählige Stecknadeln und referiert damit auf neue Formen der Klangproduktion, unsere Wahrnehmung und der Redewendung „Man hätte eine Stecknadel fallen hören können“. Er verbindet Sprachphänomene und Alltagsgegenstände und spielt dabei mit den Erwartungen der Betrachtenden an das Konzert und der Idee von Stille als Klangerlebnis. Im letzten Raum der Ausstellung wird die Stille auch nochmals im Titel des Kapitels aufgenommen. Es werden Arbeiten gezeigt, die eine sehr reduzierte Komposition und Farbgebung besitzen und die Besuchenden können eintauchen in die Stille der Unendlichkeit. Ein Ruhe ausstrahlendes Weiß durchdringt den gesamten Raum. In Kasimir Malewitschs Malerei symbolisiert Weiß den leeren und damit grenzenlosen Raum, der befreit ist von aller materiellen Welt. Diese symbolische Stille soll wiederum die Betrachtenden in eine kontemplative Ruhe vor dem Bild versetzen. Ähnlich der Pause verbildlicht sich ein Moment der inneren Einkehr, das gleichzeitig Spannung aufbaut, um die Stille zu brechen. Vielleicht können die Besuchenden etwas von dieser Ruhe und der Konzentration auf das Wesentliche mit in ihren Alltag nehmen. bis 20.09.2026, Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen, www.wilhelmhack.museum
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