Delta im Quadrat Nr. 58

4 LEBEN IM DELTA und Künstlern zu sehen sein. Eines meiner Lieblingskapitel ist „Performing the Street“. Darin versammeln wir die Kunst, welche die Straße als Bühne nutzt. Begonnen bei den Affichisten, die sich den Pariser Stadtraum aneignen, indem sie Plakate mit Werbebotschaften abreißen und collagieren, über Künstlergruppen wie GRAV, die partizipative Aktionen auf der Straße durchführten – ganz nebenbei verhandeln die Aktionen dieser Zeit den Kunstbegriff an sich. Es gibt viele spielerische Elemente, VALIE EXPORT beispielsweise, die ihren Partner Peter Weibel an einer Hundeleine durch die erstaunte Wiener Innenstadt Gassi führt. Oder David Hammons, der sich unter die Straßenhändler amCooper Square mischt und Schneebälle zum Verkauf auslegt – und damit auf die prekäre Situation zumeist schwarzer Straßenverkäufer verweist. Gleichzeitig hält er auch der Kunstwelt und ihren Verkaufsstrategien charmant einen Spiegel vor. Vielleicht wird an diesen Ausführungen deutlich, wie vielfältig die Themen sind, die auf der Straße verhandelt werden. DiQ:WelchenStellenwerthatdenndieStraßeinderKunstdes20.und21.Jahrhunderts? Wird sie eher als ein Motiv gesehen, das abgebildet wird, oder als ein Ort, an demKunst in Erscheinung tritt? AI: Das ist genau das Spannende! Die Straße ist zuerst Inspirationsort und Quelle für neue Sujets. So hält die Straßenszene zu Anfang des Jahrhunderts vor allem in Malerei und Grafik Einzug in die Kunst. Mit der Entwicklung der Handkamera in den 1920er/30er-Jahren entfaltet sich dann ein ganz neues Genre. Mit Gérard Zlotykamien und seinen Sprühbildern entsteht in den frühen 1960er-Jahren in Paris etwas, das die Street Art begründet. Die Straße wird nun zum Bildträger. Von New York aus sollte dann Graffiti als Subkultur in die ganze Welt ausstrahlen. In Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs wie in den 1960er-Jahren – und vielleicht Street Life – Die Straße in der Kunst von Kirchner bis Streuli Delta imQuadrat, Beate Schittenhelm: Wir sind neugierig: Welche Ausstellung steht als nächstes im Wilhelm-Hack-Museum auf dem Programm? Erzählen Sie uns mal! Kuratorin Astrid Ihle: Ab dem 19. November zeigen wir „Street Life“ – ein Herzensprojekt von mir, an dem ich mittlerweile seit vielen Jahren herumdenke . DiQ: „Die Straße in der Kunst von Kirchner bis Streuli“, so beschreibt der Untertitel die Schau. Warum setzen gerade diese beiden Künstler den Anfangs- und Endpunkt? AI: Wir zeigen Kunstwerke, die sich im weitesten Sinne mit der Straße auseinandersetzen und zwar im Zeitraum der letzten hundert Jahre. Diesen Rahmen haben wir natürlich nicht von ungefähr gesetzt. Wir beginnen mit der Erzählung dort, wo die moderne Straße, wie wir sie heute kennen – nämlich auch als Verkehrsweg in Asphalt – einsetzt. Ernst Ludwig Kirchner und seine Straßenszenen sind ein Höhepunkt der Klassischen Moderne. Das Individuum und sein Bezug zum öffentlichen Raum gewinnt in der Moderne extrem an Bedeutung – die Art und Weise, es in den Mittelpunkt seiner Malerei zu stellen, war für uns ausschlaggebend, mit Kirchner zu starten. Beat Streuli kann in der Kunst der Gegenwart schon fast als klassische Position erachtet werden. Auch er stellt den Menschen in den Fokus, zeigt ihn nun aber im Kontext globalisierter, kapitalistischer Megapolen. Mit seinen monumentalen Installationen aus Fototapeten und Videos lässt er uns in das städtische Gewimmel eintauchen. Für unsere Ausstellung hat er eine neue Version von „World City“ geschaffen und verbindet Eindrücke aus Dubai und Hongkong wie in einem Kaleidoskop. DiQ: Wer und was ist außerdem zu sehen? AI: Wir zeigen die Entwicklung in sechs Kapiteln, die jedoch eher thematisch denn stringent chronologischgruppiertsind.Insgesamtwerdenca.160Arbeitenvonmehrals70Künstlerinnen Barbara Probst: Exposure #157: N.Y.C., Broome & Crosby Streets, 06.10.20, 10:10 a.m., 2020 Ultrachrome Tinte auf Baumwollpapier, 3 Teile, je 137 x 91 cm, Courtesy Kuckei + Kuckei, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

RkJQdWJsaXNoZXIy OTA4MjA=